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Nach einer weiteren vergeblichen Bewerbung in Hollingstedt erhielt Bolten in Wöhrden eine erneute Chance. Diese Gemeinde in Süderdithmarschen, deren Kirchensprengel auch Teile Norderdithmarschens umfaßte, hatte das ius praesen-tandi et eligendi, d. h. das Vorschlags- und Wahlrecht. Nach einigen unglücklichen Vorverhandlungen baten die Gemeindemitglieder eine Anzahl von Kandidaten, darunter an achter und letzter Stelle unseren Bolten, zum 15. Dezember 1771 zu Gastpredigten in die Wöhrdener Kirche. Von diesen Kandidaten setzten die 115 anwesenden Gemeindemitglieder zwei, darunter Bolten mit 44 Stimmen, auf die Präsentationsliste, in die auch noch ein früherer Kandidat, B. Hansen, aufgenommen und die von der Deutschen Kanzlei mit Billigung des Königs am 11. Januar 1772 genehmigt wurde. Diese Liste gelangte über den Statthalter, Landgraf Karl von Hessen, an den Süderdithmarscher Propst Jochims mit der Maßgabe, den Wahltag in Wöhrden auf den 23. Februar anzusetzen und die Kandidaten mit den nötigen Instruktionen zu versehen. Bolten bestätigte in seinem Antwortschreiben den Wahltag, versicherte, daß er in die Predigt nach der königlichen Verordnung vom 29. März 1749 keine Angaben zur Person einfließen lassen werde, und bereitete sich auf den vorgegebenen Predigttext Römer 5,1.2 vor. Mit 79 von 159 Stimmen wurde er zum Diakon gewählt und durch königliche Resolution vom 19. März 1772 bestätigt. Nach Ordination durch den Propst Jochims und Ablegung des Predigereides wurde er am 10. Mai 1772, am Sonntag Jubilate, feierlich im Beisein des Landvogts Eggers und des Propstes zusammen mit dem Pastor Warncke, in dessen freigewordene Diakonatsstelle er einrückte, in sein Amt introduziert. Damit hatte er fast 10 Jahre nach Studienabschluß eine Lebensgrundlage erhalten, gleichsam in letzter Minute, denn sein Vater kränkelte bereits das lerne halbe Jahr. Im März war ihm sein jüngster Sohn, Joachim Hermann, adjungiert worden, jedoch »sine spe succedendi« — ohne Aussicht auf die Nachfolge —, da er zwar einen ordentlichen Lebenswandel führe, aber in den Grundsprachen und theologischen Wissenschaften noch nicht genügend ausgebildet sei. Insbesondere jedoch hatte der Generalsuperintendent befürchtet, daß dasSüderstapeler Pastorat in der Bolten-Familie erblich werden könne. Am 4. Juni 1772 starb Matthias Hermann Bolten, knapp einen Monat nach der feierlichen Introduktion seines ältesten Sohnes in Wöhrden.
Als Diakon ging Johann Adrian Bolten voller Eifer ans Werk. Seine Antrittspredigt vom 15. Mai 1772 ließ er drucken und ihr bald (1774) Kern-Gebete aus dem königlichen schleswigholsteinischen Gesangbuch in privater Auflage folgen. Er kümmerte sich aber nicht nur um seine Predigten in der Kirche, sondern auch um die Erwachsenenarbeit und insbesondere um die Schulbildung der Kinder. Konflikte mit dem Wöhrdener Schulrektor Freese und dem Küster Claus Rolfs blieben nicht aus. Sie bestritten im — zu recht — die Schulaufsicht, die bei dem Pastor und nicht bei dem Diakon lag, und brachten ihn in nicht geringe Verlegenheit, als sie ein von ihm angeregtes Vorsingen in der Kirche hintertrieben. Neben seelsorgerischen und schulischen Aufgaben hatte er zahlreiche kirchliche Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Mit dem Kirchenkollegium revidierte er die Kollektenkassen. Seiner Aufsicht unterstand mit die Armenkasse des Ortes und das Armenhaus aus der Grafeschen Stiftung.
Aber auch sonst war er einzelnen Gemeindemitgliedern bei Fragen des täglichen Lebens, beim Testamentaufsetzen und in Rechtsfragen behilflich. Seine Gemeinde hielt er für gut und hat sie — wie er später betonte — »noch stets gesegnet«. Doch brachte sie auch viele Probleme mit sich. Der tiefe Marschboden erschwerte die Verkehrsverhältnisse. Der Umstand, daß die Grenze zwischen Norder- und Süderdithmarschen mitten durch das Kirchspiel Wöhrden ging, führte zu Unzuträglichkeiten in Verwaltungsfragen. Schließlich war das Kirchengebäude in solch schlechtem Zustand, daß Bolten sein Amt für lebensgefährlich hielt und die polizeiliche Schließung des Gebäudes im Jahre 1777 nur begrüßen konnte, auch wenn sie eine jahrelange Notunterkunft in einem Fachwerkbau zur Folge hatte. Wenn man weiter bedenkt, daß das Wöhrdener Diakonat zu den schlechteren Stellen im Lande gezählt wurde, wird es verständlich, daß Bolten schon bald an ein Fortkommen dachte. Bereits 1774 weilte er zur Probepredigt in Flensburg und bewarb sich drei Jahre danach wieder regelmäßig bei der Deutschen Kanzlei um andere Stellen.
Doch bleiben wir noch ein wenig bei der Wöhrdener Zeit, in der er am 2. Mai 1775 die siebzehnjährige Anna Katharina, die Tochter des Meldorfer Kaufmanns Christian Block und seiner Frau Anna Maria, geb. Martens, heiratete. Denn hier beförderte er sein erstes umfassendes Werk »Beschreibung und Nachrichten von der im Herzogthume Schleswig belegenen Landschaft Stapelholm« im Jahre 1777 zum Druck. Die ersten Anregungen zu diesem Buch gingen zurück auf Anfragen des Historikers und Kopenhagener Geheimarchivars Jacob Langebek, der Materialien für den siebten, das Herzogtum Schleswig betreffenden Band des ursprünglich von Erich Pontoppidan herausgegebenen »Danske Atlas« suchte. Dem Aufruf des Jahres 1768 war Bolten — im Hause seines Vaters mit der Ordnung des Südcrstapelcr Kirchenarchivs befaßt — für die Landschaft Stapelholm gefolgt. Im Laufe der Jahre hatte er verschiedene Ergänzungen zusammengetragen und wollte nun mit der Drucklegung die aus »zum Theile vermoderten und dem gänzlichen Untergange nahen Papieren« gewonnenen Erkenntnisse für Zeitgenossen und Nachwelt sichern.Zwei Grundsätze sind bemerkenswert: zum einen das Streben nach urkundlicher und chronikalischer Absicherung seiner Nachrichten und zum anderen seine Zurückhaltung gegenüber Mordgeschichten, abergläubischen Histörchen und Erzählungen von allerlei Unglücksfällen, auch wenn er sich ihrer Faszination nicht ganz entziehen konnte.
Diese Tugenden, deren Besitz ihm — wie wir noch sehen werden — nicht vorbehaltlos zuerkannt werden kann, zeichnen auch die ebenfalls in Wöhrden erarbeiteten Bände seiner »Dithmarsischen Geschichte« aus, von denen der erste 1781 erschien und ebenso wie das Stapelholm-Buch nicht ohne Einfluß auf seine weitere Laufbahn gewesen sein dürfte. Denn auf seine Supplik um Versetzung nach Garding oder um eine Anwartschaft auf das Pastorat in Oldenburg (Holstein), erhielt Bolten in Form eines königlichen Reskripts unter dem 29. Mai 1779 die Antwort, »daß zwar seine itzo angebrachte Bitte nicht statt finden, er aber bey künftigen Prediger-Vacanzen sich naher melden und die Hoffnung machen könne, daß bey bequemer Versetzungs-Gelegenheit auf seine Verbesserung, den Umständen nach, werdeBedacht genommen werden«.
Knapp zwei Jahre später berief Bolten sich auf diese Versprechung, wobei eine seiner an den Erbprinzen Friedrich gerichteten Suppliken auf dem Dienstwege — sozusagen — der Deutschen Kanzlei zugeleitet wurde, und bat um Berücksichtigung für Sonderburg, das erneut verwaiste Garding oder eine der sonst vakanten Stellen. In seiner Stellungnahme wegen der Sonderburger Propstei betonte der Generalsuperintendent Struensee, daß Bolten »auch zum Theil größeren Predigtamtern vorgesetzt werden (könne), wenn Gott die Umstände dahin lenket«, und charakterisierte ihn — wie schon einmal zehn Jahre zuvor —, in einem Bericht über die einer einträglicheren Pfarre würdigen Prediger: Er sei »ein aufgeweckter, munterer und lebhafter Mann, der auch durch philologische und historische Schriften sich dem Publico bekannt gemacht hat. Bey der Kirchenvisitation habe ich ihn predigen gehört, er redet deutlich und ordentlich: bey aller Gelegenheit habe ich ihm gewünschet, daß der Geist seines seeligen Großvaters, meines Antecessoris in Altona, des ... Probst Bolten, auf ihn ruhen mögte. Daß er eine ausschweiffende Lebensart führen sollte, davon habe ich nie etwas gehöret«. Gut ein halbes Jahr später fand der Diakon Bolten in dem Geheimrat Ove Hoegh-Guldberg einen einflußreichen Gönner, der bei der Deutschen Kanzlei für »den flittige Bolten« intervenierte, anfragte, ob »denne Mand nu künde hel-pes«, und die Befragten in große Unsicherheit stürzte. Im fernen Kopenhagen stellte man sich die Frage, ob Bolten, der sich als Autor stets nur als »Prediger zu Wöhrden« bezeichnete, nun Pastor oder Diakon war und besann sich dunkel auf die Gutachten Struensees. So bekam Bolten dann endlich eine bessere Stelle, nicht die zuletzt erbetene Pröpsten- und Pastorenstelle zu Elmshorn, die an den Schwiegersohn des ehemaligen Altonaer Gymnasialprofessors Sticht, den Pastor Friedrich Christian Reichenbach (1740—1786), einen guten Bekannten Boltens, fiel, sondern die von diesem verlassene Zweite Kompastorenstelle an der Dreifaltigkeitskirche, der Hauptkirche Altonas.
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