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„Wöhrdener Blutnacht“ 1929 (Schluß) von Holger Piening
Am anderen Morgen ist der Schnee rot vom Blut. Erste gerichtliche Untersuchungen beginnen. Die Leichen von Streibel und Stürzebecher werden in der Gaststätte Tams in Wöhrden obduziert. Christian Heuck (1892-1934) und andere Kommunisten werden verhaftet und zunächst ins Heider Gerichtsgefängnis gebracht. Eine 70 Mann starke Bereitschaft der Schutzpolizei wird nach Heide verlegt.
13 angeklagte Kommunisten und nur ein SA-Mann werden später in Meldorf verurteilt. Die sozialdemokratische Presse kritisiert die „Einseitigkeit" des Gerichts. Heinrich Kürbis (1873-1951. SPD), Oberpräsident der Provinz Schleswig-Holstein. verbietet ausdrücklich unter Bezug auf die Wöhrdener Ereignisse öffentliche Umzüge und Versammlungen. Die Beerdigungen der drei Todesopfer geraten dennoch zu politischen Demonstrationen.
Der schlesische Landarbeiter Johannes Stürzebecher, der bei einem Verwandten in Wöhrden geweilt hatte, wird auf dem Wöhrdener Friedhof beigesetzt. KPD-Landtagsabgeordneter Grube nennt ihn einen „Kämpfer für die kommunistische Idee". Schalmaienmusik. Rotfront-Rufe und geballte Fauste der -MX) Personen zählenden Trauergemeinde begleiten die Zeremonie.
Mindestens doppelt so viele Menschen kommen zur Beisetzung von Hermann Schmidt.
Adolf Hitler und weitere hohe NS-Führer nutzen die Gelegenheit zu demagogischer Hetze gegen die Weimarer Republik. Landrat Dr. Ernst Kracht (1890-1983) schreibt in seinen Erinnerungen: „Umfangreiche polizeiliche Absperrungen waren von mir veranlaßt." Trotz scharfer Töne kommt es zu keinen Zwischenfällen.
Hitler besucht die verletzten Nationalsozialisten und übernachtet auf dem Hof von Paul Heinrich Guth in St. Annen. um am folgenden Tag auch am Grab Otto Streibels in Albersdorf zu reden. Fast 4000 Menschen sind erschienen. Als die Polizei ihre Gewehre lädt und sichert, wird dies von vielen Teilnehmern als Bedrohung mißverstanden, und es wäre nach Krachts Einschätzung „um ein Haar eine Schießerei mit unabsehbaren Folgen ausgebrochen".
Der NSDAP gelingt es reichlich Kapital aus der „Blutnacht von Wöhrden" zu schlagen. Viele Dithmarscher rechnen „dem Führer" sein persönliches Erscheinen hoch an. Noch im März gibt die Reichstagsfraktion der NSDAP eine 30 000fach gedruckte Broschüre mit ihrer Darstellung der Ereignisse heraus. Schmidt und Streibel werden zu „Opfern der Bewegung", zu „Blutzeugen".
Ortschronist Horst Ploog bringt es auf den Punkt: „Die Propagandatrommel der Nazis macht die sogenannte Blutnacht von Wöhrden im ganzen Reich bekannt." Dabei hätten die Kommunisten in Wöhrden aber nie die Bedeutung gehabt, die ihnen die braune Propaganda zuschrieb: „Wöhrden war Austragungsort, nicht mehr und nicht weniger!"
Nichtsdestotrotz wurde der Kult eifrig gepflegt. Dithmarscher Bauern verabredeten, nur noch Nationalsozialisten auf ihren Höfen zu beschäftigen. Albersdorf bekam eine Otto-Streibel-Straße (Mühlenstraße). Die von Hitler besuchten Dithmarscher montierten Erinnerungstafeln an ihre Häuser. 1934 errichtete man in Wöhrden neben der Meierei ein SA-Denkmal. Die Tafeln verschwanden gleich bei Kriegsende, der Gedenkstein wurde 1950abgeräumt.
Den kommunistischen Teilnehmern an der „Blutnacht" wurde übel mitgespielt, wobei es nicht bei Schlägen auf einer Wöhrdener Kegelbahn blieb. Die Nazis verfolgten die Kommunisten überall. Christian Heuck wurde im Februar 1934 im Neumünsteraner Gefängnis ermordet. Zahlreiche Kommunisten wurden zur NS-Zeit in KZs verbracht. So konnten für diesen Beitrag keine Zeitzeugen mehr gefunden werden, die das Wöhrdener Geschehen von 1929 auf kommunistischer Seite miterlebt haben.
Was mit Wöhrden begann, setzte sich in den nächsten Jahren mit weiteren politischen Gewalttaten - auch Morden - in verschiedenen Dithmarscher Dörfern und Städten fort. Hier trat in den meisten Fällen die SA als Unruhestifter in Erscheinung. Der in zahlreichen Geschichtsbüchern zitierte „Altonaer Blutsonntag" 1932 mit 17 Toten war also kein Einzelfall, sondern nur eines von vielen Beispielen für die fatalen Folgen von antidemokratischem Denken, Intoleranz und Fanatismus. Die NS-Diktatur machte schließlich den Staat zum Gewalttäter... Quelle: DLZ v. 20.12.1997
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